Für ihr
Interview mit
Pitchfork wählte
Leslie Feist nicht etwa irgendeinen Ort in
New York City, sondern
Ellis Island. Mitten im
Hudson River gelegen ist das Eiland seit
1990 als
Museum der
Immigration frei für Besucher zugänglich. Das zentrale Thema des Treffens ist jedoch nicht der politische Beigeschmack der Ortswahl, sondern ihr neues Album “
Pleasure”, das am
28. April 2017 erscheint.
Pleasure (Video)
“Pleasure” lag die Selbsterkenntnis zugrunde
Gegenteile ziehen sich an – das spürte auch Feist, als ihr der Albumtitel “Pleasure”, zu deutsch “Freude”, in den Kopf kam. Sie hatte nämlich viel zu wenig davon und zu viele Sorgen, als die LP entstand. Doch Leslie Feist fand das Licht am Ende des Tunnels. “Ich realisierte, dass ich meinen Schmerz selbst genährt habe, weil ich Energie in ihn investiert habe. Plötzlich merkte ich, dass ich Dinge und Gefühle ändern konnte mit der bloßen Entscheidung, es zu tun.” Doch wie jeder Mensch, der je mit Depressionen zu kämpfen hatte, konnte auch die Kanadierin ihre Denkweisen und Gefühle nicht von heute auf morgen ändern.
Feist und der Berliner Winter im Kopf
Menschen, die keine Erfahrung mit Depressionen und dergleichen haben, können das Gefühl des latent widerkehrenden Seelenschmerzes nur selten nachvollziehen – das musste auch Feist an eigenem Leib erfahren: Ein Freund verglich ihre Situation mit dem eiskalten Berliner Winter, der auch ihm ab und an zu schaffen mache. “Stell dir vor, du hast den Berliner Winter im Kopf, obwohl es ein sonniger Juli-Tag ist und du nichts machen musst, außer Rasen mähen und Frühstück machen.”
Die treibende Kraft hinter “Pleasure”
Ganze sechs Jahre liegt ihr letztes Album “Metals” zurück. Und das nicht ohne Grund. Leslie Feist hat auf das Jucken in den Fingern gewartet, das den kreativen Schöpfungsdrang auslöst, der einem keine andere Wahl mehr lässt, als neue Musik zu schaffen. “Ich wollte nicht einfach nur ein neues Album machen, weil ich in den Jahren zuvor auch welche veröffentlicht habe. Ich wollte auf den Punkt warten, an dem ich mir sicher war, ein Neues machen zu müssen.” Feist hält nichts von dem konventionellen zwei – oder vier-Jahres-Rhythmus, in dem andere Künstler neue Alben aufnehmen, weil es das Berufsbild ihnen abverlangt.
Die zwei Stimmen der Leslie Feist
“Hört man deine neue Platte sukzessive durch, so klingt sie körnig und rau”, bemerkt Pitchfork-Editor Ryan Dombal. “Das liegt daran, dass ‘Pleasure’ mehr oder weniger komplett live eingespielt wurde”, erklärt Feist. Diese akustische Unvollkommenheit ist absolut beabsichtigt. Feist legt ihrem Zuhörer Fährten, die er lesen kann. So überrascht der letzte Track “A Man Is Not His Song” mit einem Snippet des Songs “High Road” der Metalband Mastodon. “Ich wollte zeigen, dass nichts das ist, was es vorgibt zu sein. Ich kenne viele Männer, die Musik machen, und nicht das sind, von dem sie singen. So geht es auch mir. Ich habe eine Schöpfer-Stimme und eine Fußgänger-Stimme”, sagt die Sängerin. Sie räumt ihrer eigenen Person eine Distanz zu ihrer Musik ein – wie auch ein Künstler sein Bild malt, aber nicht sein Bild ist.
Wenn es mit der Musik nicht geklappt hätte
Was wäre, wenn? Diese Frage stellt sich jeder von uns in seiner Lebenszeit x-mal. Wenn Leslie Feist nicht Musikerin geworden wäre, wäre sie vermutliche Schreinerin geworden. “Ich habe schon das Ein oder Andere selbst gebaut. Werkzeuge in der Hand halten, das hat Etwas. Wenn du eine Melodie im Kopf hast, dann ist das eher wie Dampf”, so die Sängerin. Sie mag die Funktionalität, die bei einem Möbelstück im Vordergrund stehen: Auf einem Stuhl könne man sitzen, er ist greifbar. Hier geht es nicht zunächst darum, dass er gefällt. “Musikerin zu sein ist ein zweischneidiges Schwert. Musik kann kraftspendend sein, sie kann dich aber auch zugrunde gehen lassen. Du musst den Scheiß wirklich leben. Und einen Platz für ihn finden.”
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