Mit ihren gerade einmal 31 Jahren hat Esperanza Spalding bereits mehr erreicht als viele ihrer Jazzkollegen, die doppelt so alt sind. In den letzten zehn Jahren kreuzte sie kontinuierlich und auf brillante Weise Genres miteinander, verschob die Grenzen zwischen ihnen und veröffentlichte bahnbrechende Alben, für die sie bisher mit vier Grammys ausgezeichnet wurde, darunter die besonders begehrte und genreübergreifende Trophäe für den “besten Newcomer”. Sie absolvierte aufsehenerregende Live-Auftritte bei den Verleihungen der Oscar, der Grammys und des Friedens-Nobelpreises und trat natürlich auch schon mehrfach im Weißen Haus auf, wo einer ihrer größten Fans – Barack Obama – seinen Amtssitz hat.
Ob bei Auftritten mit ihren eigenen Ensembles oder an der Seite namhafter anderer Künstler wie Herbie Hancock, Stevie Wonder, Janelle Monae oder Prince – stets ist es Spalding, die automatisch die Aufmerksamkeit auf sich zieht. Und dies nicht etwa, weil sie sich selbst in der Vordergrund drängt, sondern weil sie einfach mit einer natürlichen Autorität spielt und stets die musikalische Essenz des gespielten Materials in den Mittelpunkt stellt. Das bewies sie sowohl bei Gastauftritten auf Alben von u.a. Stanley Clarke (“The Toys Of Men”) und Mike Stern (“Big Neighborhood”) als auch auf fünf eigenen Werken.
“Früh übt sich, wer ein Meister werden will”, besagt ein deutsches Sprichwort. Und der Werdegang von Esperanza Spalding ist dafür geradezu exemplarisch. Denn ein Fernsehauftritt des Cellisten Yo-Yo Ma in der beliebten Kindersendung “Mister Rogers’ Neighborhood” inspirierte die kleine Esperanza einst Geige zu lernen. Mit fünf Jahren spielte sie bereits mit der Chamber Music Society of Oregon in ihrer Heimatstadt Portland. Als sie das Ensemble zehn Jahre später verließ, hatte sie es bis zur Konzertmeisterin gebracht und schrieb schon eigene Kompositionen. Nach dem Ausstieg gründete sie mit dem Gitarristen und Sänger Benjamin Workman sowie dem Schlagzeuger und Keyboarder Christian Cochran das jazzige Pop-Noir-Trio Noise For Pretend, mit dem sie als als Kontrabassistin und Sängerin ein Jahr später ihre ersten Aufnahmen machte (für dasselbe Label wie die Decemberists). Nach Auflösung der Band studierte Esperanza erst an der Portland State University und dann am Berklee College of Music, wo sie nach der Abschlussprüfung mit 20 Jahren als die jüngste Dozentin eingestellt wurde, die dieses renommierte Musikcollege je hatte. Der Vibraphonist Gary Burton, Vizepräsident der Jazzabteilung von Berklee, bescheinigt ihr damals: “Sie hat eine großartiges Gefühl für Time, kann problemlos die kompliziertesten Kompositionen lesen und prägt mit ihrer optimistischen Persönlichkeit alles, was sie spielt.”
Die internationale Bühne betrat sie 2006 mit ihrem Debütalbum “Junjo”, über das US-amerikanische Rolling Stone schrieb: “ein erstaunlich anspruchsvolles, aber trotzdem verspieltes Programm mit akustischem Trio-Jazz: ein elastischer Bass, Klavier, Schlagzeug und sexy Latin-Melodien, die auf Flora Purims brasilianischen Jazz der 1970er Jahre zurückgreifen.” Eine Vielzahl unterschiedlicher kultureller Einflüsse zeigte die junge Bassistin, Komponistin und Vokalistin 2008 auf ihrem zweiten Album “Esperanza Spalding”, auf dem sie nicht nur in ihrer Muttersprache sang, sondern auch in Spanisch und Portugiesisch.
Mit dem dritten Album “Chamber Music Society” gelang ihr dann 2010 ein musikalischer Quantensprung, der sie vollends ins Scheinwerferlicht katapultierte. Für das Album wurde sie bei den Boston Music Awards nicht nur als “Jazzkünstlerin des Jahres” ausgezeichnet, es brachte ihr Anfang 2012 auch ihren ersten Grammy ein. Nach dem Grammy-Gewinn schrieb die New York Times in einem Porträt, dass sich Spalding “nicht nur als virtuose Jazzbassistin und unangestrengt flinke Sängerin profilierte, sondern als eine exotische Kombination aus beidem. Schon die Art ihres Talents ist außergewöhnlich.” Noch im selben Jahr brachte Esperanza ihr Album “Radio Music Society” heraus, das sofort in den Top 10 von Billboard landete. Das Album wurde von der britischen Times als eine “Reise durch Soul, Gospel, Balladenkunst and Bigband-Swing” beschrieben.
Von einer vollkommen anderen Seite und mit einer erfrischenden neuen künstlerischen Vision präsentierte sich Esperanza Spalding wiederum Anfang März 2016 auf ihrem jüngsten Album “Emily’s D+Evolution”, das von dem legendären Tony Visconti (David Bowie, T. Rex, Thin Lizzy) koproduzierte wurde. Denn diesmal hat die singende Bassvirtuosin den Jazz weitgehend hinter sich gelassen, um sich mit einem fantastischen Power-Trio (mit dem sensationellen Gitarristen Matt Stevens und den sich abwechselnden Schlagzeugern Justin Tyson und Karriem Riggins) kopfüber in ganz andere musikalische Gewässer zu stürzen und einen mitreißenden Mix aus Black Rock, Funk, Soul, R&B und Musiktheater zusammenzubrauen.