Die Nacht ist für Elīna Garanča seit jeher eine besondere Zeit im Tageslauf, reich an ambivalenten Empfindungen, Farbtönen und Schattierungen. »Für viele Menschen ist die Nacht eine Zeit voller Angst und Unsicherheit. Man ist einsam in der Nacht und mit sich selbst konfrontiert«, sagt sie. Gleichzeitig könne die Nacht auch Frieden bringen. »Die Welt kommt zur Ruhe und schläft ein und auch wir Menschen können zur Ruhe kommen.« Auf Garančas neuem Album When Night Falls …, das am 15. März 2024 pünktlich zum World Sleep Day erscheint, wird diese Zeit vom Anbruch der Dunkelheit bis tief in die Nacht in unterschiedlichen Nuancen erfahrbar, im großformatigen Orchesterlied ebenso wie im solistisch dargebotenen Wiegenlied. Dabei ist es der Sängerin ein Anliegen, mit den ausgewählten Stücken ein Gefühl zu vermitteln »für jene Zeit am Tag, in der man sich von der Welt zurückzieht, nach Hause kommt, die Tür zumacht und sich in einem geschützten Rahmen ganz dem eigenen, privaten Leben widmet.«
Diesem Gedanken folgt auch die musikalische Dramaturgie des Albums. Sie führt die Hörer und Hörerinnen vom farbenreichen, belebten Treiben der Dämmerung hinein in die Intimität und Stille der Nacht. So stehen zu Beginn großformatige Orchesterlieder auf dem Programm, darunter das Wiegenlied (»Träume, träume, du mein süßes Leben«) von Richard Strauss und das spanische Stück Asturiana des Komponisten Manuel de Falla, Garanča wird hier vom Orquesta Filarmónica de Gran Canaria unter Leitung von Karel Mark Chichon begleitet. In Engelbert Humperdincks Abendsegen aus Hänsel und Gretel ist der Mezzosopranistin das für sie »faszinierende Experiment« gelungen, im Overdub beide Stimmen einzusingen.
Kammermusikalischer geht es in verschiedenen Abend- und Nachtliedern zu, darunter zwei Stücke von Luciano Berio mit dem Berlin Music Ensemble, Brahms’ Wiegenlied (»Guten Abend, gut’ Nacht«) mit Special Guest Albrecht Mayer sowie Franz Schuberts Nacht und Träume mit Malcolm Martineau.
Neben der Orchester- und Klavierbegleitung ist für die Künstlerin auch die Gitarre eine vollendete Ergänzung der Gesangslinie. So ist sie in Sogno von Francesco Paolo Tosti mit dem Gitarristen Raphaël Feuillâtre, dem Neuzugang bei Deutsche Grammophon, zu erleben, ebenso wie mit José María Gallardo del Rey, der nicht nur zwei eigene Werke (Nana Criolla und Canción de cuna) zusammen mit Garanča interpretiert, sondern auch den Canción de cuna para dormir a un negrito von Xavier Montsalvatge. »Die Gitarre hat einen ungemein femininen, runden und wohligen Klang. Gerade in den vibrierenden Mittellagen finden sich hier faszinierende Parallelen zur Mezzostimme«, sagt Garanča. Durch die intime Atmosphäre im Zusammenspiel von Stimme und Soloinstrument bietet sich die Möglichkeit, »ganz natürlich und direkt« zu singen. »Diese Lieder gehen so zu Herzen, als wenn die eigene Mutter einem etwas vorsingt«, sagt die Sängerin, »pur, ehrlich und zutiefst menschlich.«
When Night Falls … ist ein sehr persönliches Album, entsprechend hebt Elīna Garanča hier erstmals in ihrer bisherigen Diskografie ihre Heimat hervor. »Meine lettische Identität sollte bei einem so intimen, persönlichen Programm unbedingt Teil des Programms sein«, so die Künstlerin. Mit Aijajā! (Süße Ruh) und Şūpļa dziesma (Wiegenlied) von Alfrēds Kalniņš sowie Pelīt, velc miedziņu (Kindchens Schlaflied) von Jānis Zālīts hat sie ausgesprochen innige Stücke ausgewählt, außerdem interpretiert sie das lettische Volkslied Aijā, žūžū, lāča bērni (»Aija, zuzu, kleine Bären«), das sie eng mit ihrer Kindheit verbindet. »Ich habe dieses Lied von meiner Großmutter das erste Mal gehört und es ist für mich wie eine Zeitreise in das Haus und Bett meiner Oma. Es gibt wohl keinen Letten, der dieses Lied nicht kennt und ich wollte es unbedingt auf diesem Album haben.« Gleiches gilt für die Lieder des lettischen Komponisten Raimonds Pauls, den Garanča als »Meister der Melodien« und auch als »Legende« in ihrem Heimatland schätzt und mit dem sie nun auf ihrem Album gemeinsam musiziert.