Keine Jahreszeit ist so zwiespältig, interessant und damit faszinierend wie der Winter. Die Tage werden kürzer, wir sonnen uns nicht mehr im Licht, sondern in der Melancholie. Vermittelt der Sommer noch den Drang, etwas mit unserer Zeit anzufangen, raus zu gehen und die Welt zu erobern, erlaubt uns der Winter Momente der Ruhe. Im warmen Zuhause und unter uns wichtigen Personen finden wir Sicherheit, Geborgenheit und Trost oder aber sind einsam und blicken sehnsüchtig ins Dunkle nach draußen. In dieser Zeit haben wir die Muße, uns mit unserer Person und den essentiellen Fragen des Lebens zu beschäftigen. Auch wenn die Antworten auf diese Fragen selten auf der Hand liegen und noch häufiger weh tun, können wir diesen Zustand der Zurückgezogenheit manchmal genießen. Denn wirklich hoffnungslos sind die wenigsten und für viele stellt Melancholie schlicht die Freude an der Traurigkeit dar.
Es gibt keinen Act, die dieses beschriebene Gefühl besser einfängt und beim Hören auf uns überträgt, als die Prinzessin von Eisblume. Auch auf ihrem zweiten Album „Ewig“ gelingt es der Berlinerin, eine wunderschöne, romantische und einzigartige Klangwelt zu schaffen und mit Lyrik zu untermalen, die uns nachdenklich stimmt, Hoffnung macht und uns dabei emotional genau da berührt, wo wir es brauchen und wollen: Am Herzen.
Eisblume kreiert in ihren Songs Bilder des Gegensatzes, es werden die eng beieinander liegenden und dennoch so unterschiedlich empfundenen Höhen und Tiefen der menschlichen Gefühlswelt in einem Atemzug genannt. Das Bild der inneren Zerrissenheit zieht sich durch das gesamte Album und doch ist es die Romantik, die Hoffnung und der Mut, die diese ganz besondere Atmosphäre schafft, den Hörer vereinnahmt und nicht mehr loslässt.
Eine verträumte Piano-Melodie eröffnet das Album und entführt sofort in die Welt von Eisblume. Ria besingt auf dem Opener „Für Immer“, der auch gleichzeitig die erste Single-Auskopplung ist, eindrucksvoll die Kraft, die wir aus zwischenmenschlichen Beziehungen ziehen können, um uns gemeinsam gegen die unschönen Seiten des Lebens zu stemmen. Selbst der dunklen Nacht können wir gemeinsam trotzen – ja sogar die Ewigkeit und der Tod kann im Rausch des Glückes bezwungen werden: „Wir fließen ineinander / besiegen Nacht und Tod / Wirf dein Licht auf mich / Ach, die Ewigkeit scheint mit zu klein / Will für immer bei dir sein“.
Der 1. Single liegt die bekannte Melodie von „River Flows In You“ unter. Der Song wurde von Yiruma, einem südkoreanischen Pianisten und Komponisten geschrieben.
Auch das Titelstück „Ewig“ spielt in dieser anderen Bewusstseins-Sphäre, die aus Verbindung zweier untrennbarer Seelen entsteht. Diese Verbindung ist stärker als alles Weltliche und sinnlich Erfahrbare und sie ist im Idealfall gemacht für die Unsterblichkeit.
Es ist nicht immer alles rosarot und dieses Phänomen namens Liebe kann auch Stacheln zeigen. Mit „Ein Liebeslied“ zeigt Eisblume die harte Realität der menschlichen Einsamkeit auf. Der Song ist ein herzzerreißendes Trennungs-Manifest, das von Streichern getragen wird, die die besungene Sehnsucht eindrucksvoll unterstreichen.
Die Antwort auf die Frage nach dem richtigen Umgang mit Trennungsschmerz liefert Eisblume selbst. Auf „Unzerstörbar“ ist sie wieder da – diese Hoffnung am Horizont, dass es bergauf geht und die dem Hörer so gut tut. Neben Liebesbriefen, Erinnerung und dem Wissen um die Vergänglichkeit der Liebe, bleibt das eigene Herz, das – egal wie groß der Schmerz auch sein mag – „Unzerstörbar“ ist und gestärkt aus allem hervor geht.
Auch „Wunderkind“ setzt die Kraft der Niederlage in Szene. Wer am Abgrund steht und nicht hinunter fällt, gewinnt langfristig und wächst durch diese Erfahrung. Denn durch diese gemachte Selbsterkenntnis werden in der Niederlage die stärksten Seelen von Morgen geboren.
Doch um dahin zu kommen, muss man oft lange leiden, die Zähne zusammen beißen und durchhalten. Davon erzählt das Lied „Bis Zum Letzten Atemzug“, das die Angst lindert, wenn man am Boden ist. Nur wer gelitten und das Innerste nach außen gekehrt hat, kann sich wieder fühlen und selbst finden: „Alle Narben sind nur Lebenszeichen auf der Haut / Keine Angst / Alles wird neu aufgebaut“.
„So weit war ich noch nie“ spielt in der verstörenden und ambivalenten Eisblume-Welt. Die Schönheit der Realität und des Augenblicks werden angezweifelt. Die Welt ist Schutt und Glanz zugleich und ein süßer Wahn wird besungen.
Im „Schlaflied“ oszilliert Eisblume zwischen dem Wachheitszustand in der Realität und der nur im Schlaf und Traum möglichen Bewusstseinsebene. Es ist der Eskapismus in seiner reinsten Form, wenn die Realität und damit alles Schreckliche hinter einem gelassen werden kann. Märchen, Lügen und das vollkommene Glück sind plötzlich und für ein paar Augenblicke die wahrgenommene Wirklichkeit.
Und dann gibt es diese vielen Momente in der Musik und den Texten von Eisblume, die Trost spenden, Mut und Hoffnung machen und unter die Haut gehen. „Ich kann Dich sehen“ versprüht genau diesen Glauben an die Zukunft. Getrieben von einem schnellen und dennoch harmonischen Beat hat das Lyrische Ich doch noch jemanden gefunden, obwohl die Suche schon längst resigniert für beendet erklärt worden war.
„Nimm Sie Mit“ ist eine Aufforderung an den Hörer, das Leben anzupacken und zu handeln. Das Leben hält so verdammt viel für einen bereit, man muss es nur sehen und im richtigen Moment zupacken: „Nimm sie mit, bis zum Morgengrauen / Und sie schenkt dir nur einmal nur / was ihr gehört.“
Auch der Winter 2012 wird wieder lang, kalt und grau werden. Eisblume kommt gerade recht, um uns auf dem Weg durch eben jene düstere Jahreszeit zu begleiten. „Ewig“ berührt, löst Emotionen aus und zieht uns in den Bann der Eisblume-Welt. Eine Welt voller Schmerz, Not und Leid, der jedoch kraftvoll mit Romantik, Zärtlichkeit und Zuversicht begegnet wird.