Das englische Wort „Disclosure“ bedeutet übersetzt so viel wie Enthüllung, allerdings sind zwei junge Brüder aus dem Süden von London momentan dabei, diesem Begriff einen vollkommen neuen Klang und eine neue Bedeutung zu verleihen: Man muss „Disclosure“ ab sofort wohl eher mit Offenbarung übersetzen, denn ihr unglaublich tanzbarer Sound, in dem UK Garage und House auf diverse andere Dance-Spielarten treffen, überrollt den Globus dieser Tage wie eine massive, unaufhaltsame Basswelle.
Nachdem sie im vergangenen Herbst mit dem ultralässigen „Latch“ feat. Sam Smith bereits für Furore gesorgt hatten (Platz 3 der deutschen iTunes Electronic Charts, UK Platz #11, 15 Wochen in den Top−30, über 1,3 Mio. Soundcloud-Plays), machen Guy und Howard Lawrence, so die Jungs von Disclosure bürgerlich, nun also mit Aluna Francis gemeinsame Sache, einer Hälfte des Duos AlunaGeorge, den Zweitplatzierten der diesjährigen BBC-„Sound of 2013“-Prognose. Während der Beat von „White Noise“ sogar auf Elemente aus der Ära des Acid-Rave zurückgreift, gleiten die Vocals von Aluna regelrecht über den Track, der schon in der ersten Stunde auf Soundcloud 30 000 Plays verzeichnete – eine Viertelmillionen binnen der ersten 24 Stunden. Die Sängerin hatte Disclosure schon im Dezember bei ihrem allerersten London-Gig ganz spontan auf der Bühne unterstützt, alles Weitere ergab sich danach quasi wie von selbst.
In England liegt die Veröffentlichung ihrer ersten Single inzwischen immerhin rund 2,5 Jahre zurück: Guy und Howard Lawrence waren damals gerade mal 18 bzw. 15, als „Offline Dexterity“ auf Moshi Moshi erschien, doch ging seither alles Schlag auf Schlag: Mit drei Veröffentlichungen ins Jahr 2012 gestartet, konnten sie sich in den vergangenen Monaten kaum vor Remix-Aufträgen retten und lieferten mit ihrer EP „The Face“ auf Greco-Roman (und ihrem zeitgleich veröffentlichten Remix zu Jessie Wares „Running“) mal eben den Soundtrack des vergangenen Sommers ab. Allein mit diesem Release-Doppelpack hatten die Brüder aus Surrey klargestellt, dass man ihren Namen ab sofort noch häufiger hören würde – zum Beispiel aus dem Mund diverser Radiomoderatoren (schon letztes Jahr Hunderte Plays bei BBC Radio 1 und 1Xtra, inzwischen auch hierzulande Listen deutschlandweit).
Auch live starteten Disclosure ab Sommer 2012 richtig durch: Gefeierte Auftritte im Vorprogramm von SBTRKT und Hot Chip, Gigs auf Ibiza und ein episches Set beim britischen Bestival führten schon bald zum nächsten Plattenvertrag, nunmehr mit PMR/Island Records, dem Label von Jessie Ware, Julio Bashmore und Two Inch Punch. Pünktlich zur Veröffentlichung von „Latch“ ging’s mit der ausverkauften ersten US-Tour, dann dem besagten ersten offiziellen Gig in London (was da los war, kann man sich sicher vorstellen) und einem Abstecher nach Australien weiter – und ebenfalls im Dezember 2012: Ihre DJ-Performance als „jüngster Act, der jemals im Berghain gespielt hat“, ein tanzbarer Lichtblick im grauen Berliner Winter.
Während einige Dates ihrer kommenden Frühjahrs-Tour binnen Minuten ausverkauft waren – sämtliche UK-Konzerte, aber auch die Abende in Amsterdam, Paris und Brüssel –, tauchte ihr Name zum Jahreswechsel in den einschlägigen Artist-To-Watch-Listen auf, so zum Beispiel auf der BBC „1Xtra Hot 10 For 2013“-Liste und bei MTVs „Brand New For 2013“, während sie zeitgleich zum iTunes New Dance Artist of 2012 erklärt wurden. Auch Edelmetall gab’s schon für die letzte Single „Latch“, die in den deutschen Club-Charts inzwischen die Top−5 erobert hat: Gold in Australien, und mit über einer Viertelmillion verkaufter Einheiten Silber in UK.
Alles Zahlen, die besonders eindrucksvoll sind, wenn man bedenkt, dass die beiden durch Burials „Untrue“-Album überhaupt erst auf die Idee kamen, nach ihrer Vergangenheit in Bands auch mal elektronische Musik auszuprobieren. Dass sie schon als Teenager dermaßen stilsicher die Grätsche zwischen verschiedenen Electro- und Dance-Genres hinbekommen und mit jedem einzelnen Track extrem viel Gefühl für große Melodien bewiesen haben, hat den beiden nicht nur jede Menge Fans (über 100K bei Facebook), sondern auch viel Kritikerlob beschert. Sie selbst führen den Sound von Detroit, Chicago-House (ein zunehmend wichtigerer Faktor), UK Garage der Neunziger, aber auch die Singer/Songwriter-Sounds, mit denen Howard aufwuchs, und den US-HipHop von Producer-Göttern wie Dilla und Premier, mit dem Guy sozialisiert wurde, als wichtigste Einflüsse an. „Wir sagen dazu einfach Dance oder Electronic Music“, so ihr Kommentar, „und überhaupt klingen wir wohl so, wie wir klingen, weil wir eben nicht nur mit Dance-Musik aufgewachsen sind, sondern sie erst in den letzten Jahren nach und nach für uns entdeckt haben. Wir sind halt eher mit Songs und Songwriting aufgewachsen – und mit HipHop-Beats –, die ganze Clubmusik kam erst später.“ Kein Wunder: der 18-jährige Howard darf offiziell ja auch erst seit diesem Jahr in Clubs gehen…
Anders als bei den meisten anderen Brüder- (die Knopflers, die Gallaghers z.B.) oder ganz allgemein Geschwister-Konstellationen (siehe Jackson 5 z.B.), habe es bei ihnen bis dato noch so gut wie nie Streit gegeben, „außer, es geht ums Essen, da kann das schon mal vorkommen.“ Das denkbar beste Fundament für ein unbedingt hektisches Jahr also.