An der Eingangstür des Hauses, das Dermot Kennedy seit 25 Jahren sein Elternhaus nennt, hängt ein Schild. „Cois Coille“, steht drauf, was Gälisch (Irisch) ist und so viel bedeutet wie: am Wald gelegen. Ein Blick über die Schulter bestätigt: Es verweist auf die gewaltigen Hügel, die Wälder, die wilde Natur, die sich unweit von dieser Eingangstür ausbreitet. „Jedes Mal, wenn ich auf Reisen bin, muss ich schließlich doch wieder an diesen Ort zurückkommen, denn er wirkt wie eine Reset-Taste bei mir“, gesteht der junge Musiker, der im besagten Haus in der Ortschaft Rathcoole aufgewachsen ist, die genau zwischen dem hektischen Treiben Dublins und der überwältigenden Natur des angrenzenden County Kildare gelegen ist. Derselbe Kontrast zwischen Urbanem und wilder Natur schimmert auch in seinen Songs immer wieder durch: Es sind handgemachte, rustikale, gefühlvolle, einfach schöne Stücke eines Singer/Songwriters, unterfüttert jedoch mit elektronischen Elementen, mit zeitgenössischen Beats. „Ja, ich steh voll auf diese Kombination“, sagt er über seinen Mix aus Gesang und Storytelling, Gitarrensounds und vom Hip-Hop inspirierter Produktion. „Diese beiden Welten kollidieren zu lassen, das finde ich einfach spannend.“
Und er ist mit dieser Meinung bekanntermaßen nicht allein, schließlich hat besagte Mischung zuletzt immer höhere Wellen geschlagen: Seit der Veröffentlichung seiner EP Doves and Ravens im April 2007, auf die er u.a. noch die Single „Moments Passed“ folgen ließ, verzeichnen seine Songs über 300 Millionen Streams, während er von Beats 1-Moderator Zane Lowe selbst als „große, schöne, mutige neue Stimme“ gefeiert wurde. Derartige Lobeshymnen gab’s etliche (vom TIME Magazine bis hin zu Wonderland), dazu Auftritte im Vorprogramm von Lana Del Rey, und selbst Rap-Superproducer Mike Dean, der sonst mit Hip-Hop-Größen wie Kanye West oder Travis Scott arbeitet, hatte ihn plötzlich auf dem Schirm: So entstand die gemeinsame EP Mike Dean Presents: Dermot Kennedy. Auch aktuell geht mal wieder alles Schlag auf Schlag bei Kennedy: Wenige Tage vor dem Startschuss zu seiner großen US-Tour hat er mit „Power Over Me“ einen düsteren neuen Track vorgelegt…
Generell, so der 25-Jährige, verhandelten seine Songs immer zwischen zwei Extremen – Licht und Dunkel, Liebe und Verlust, Leben und Tod, Glück und Leid. „Es stimmt, wirklich alle meine Songs haben diese zwei Pole, oftmals sogar im selben Song: Da kann es passieren, dass es mit jeder Zeile von einem Extrem ins andere umschlägt“, gibt er zu bedenken. Das sehr persönliche Stück „Moments Passed“ ist ein gutes Beispiel: Es entstand in einer Phase, in der in seinem Leben Trauer und Verliebtheit zusammenfielen; einerseits trauerte um einen Freund, der kurz zuvor gestorben war, doch zugleich bahnte sich eine neue Beziehung an, und er war bis über beide Ohren verknallt. „Manchmal ist es daher schwer, sich auf ein Gefühl pro Song festzulegen. Daher also diese Gegensätze, dieser Kampf zwischen zwei Extremen.“
Seine erste Gitarre bekam Dermot Kennedy zwar schon mit 11, „richtig ernsthaft bei der Sache“ war er jedoch erst sechs Jahre später, wie er sagt – und dann dauerte es auch gar nicht lange, bis ihm eine zufällige Begegnung mit einem seiner persönlichen Helden erste Türen öffnen sollte. Er sah den irischen Songwriter Glen Hansard (u.a. bekannt aus dem Film Once) auf der Straße in Dublin und zögerte nicht lange: „Ich lud ihn sofort in mein Studio ein“, berichtet Kennedy, der damals seine ersten Aufnahmen machte. „Leider konnte er hinterher doch nicht kommen, aber er rief mich zurück und machte mir das Angebot, für immerhin 10 Minuten im Vorprogramm seiner ausverkauften Weihnachtsshow zu spielen!“ Kennedy präsentierte dem Publikum u.a. seine 2016 veröffentlichte Single „After Rain“, und schon ging’s los; der Track machte die Runde, Resultat: 47 Millionen Streams bei Spotify. Mit dem Nachfolger „Moments Passed“, dessen spektakuläres Video unter der Regie von Nabil (Frank Ocean, Kendrick Lamar) entstand, knüpfte Kennedy wenig später an diese Erfolge an…
Das letzte Jahr war Dermot Kennedy dann quasi nonstop auf Tour. Was mit kleinen Konzerten in und um Dublin anfing, mündete schon bald in immer größere Shows – erst in Großbritannien, dann in ganz Europa, schließlich auch in den USA. „Und all diese Tourneen waren restlos ausverkauft“, erzählt er und kann’s selbst kaum glauben. „Gibt also schon eine ganze Menge Leute auf der Welt, die mit meinen Songs etwas verbinden“, sagt Kennedy. „Ich weiß noch, wie’s früher in Dublin war: Da hab ich Konzerte gegeben, wo ich zum Teil jeden einzelnen im Publikum persönlich kannte. Und jetzt sind es so viele Menschen… und gerade in meiner Heimat: Es ist toll zu wissen, dass sich gerade hier in Irland viele Leute in meinem Alter mit diesen Songs identifizieren können.“
Auch gab es zuletzt immer wieder Momente, in denen sich Erinnerungen und ganz neue Eindrücke überlagerten: „Ich hab zum Beispiel bei uns in Irland bei einem Festival gespielt, das heißt Electric Picnic. Und ich kann mich noch daran erinnern, wie mich mein Vater früher, als ich noch echt jung war, dorthin gefahren hat; wir haben gleich vor dem Künstlereingang geparkt, einfach nur um zu sehen, was da so abging“, erinnert er sich. „Ich dachte mir damals, wie cool es wohl sein müsste, irgendwann bei so einem Festival aufzutreten, da abzuhängen – und plötzlich machte ich einen ganzen Sommer lang nichts anderes! Das war so schräg, so surreal, echt Wahnsinn.“ Allein dieses Jahr hat er schon über 100.000 Tickets verkauft, und nach der aktuellen Welttournee, deren 42 Shows durch die Bank ausverkauft sind, hat er gerade schon die nächsten Dates fürs Frühjahr 2019 angekündigt – inklusive Zwischenstopp in der legendären Brixton Academy.
Während er zuletzt auch viel beachtete Performances für NPR („Tiny Desk Concerts“) oder auch COLOR in Berlin hinlegte, schenkt der 25-jährige Kennedy dem ganzen Hype selbst wenig Beachtung – dafür ist er aktuell auch viel zu sehr damit beschäftigt, sein Debütalbum fertigzustellen und seinen Sound weiterzudenken: „Nachdem ich ja so lange auf Akustiksongs gesetzt habe, fühlte es sich einfach gut an, etwas Neues auszuprobieren und meine Komfortzone für diese neueren Stücke zu verlassen“, holt er aus und bezieht sich noch einmal auf die experimentellen elektronischen Sounds, die eine immer größere Rolle für ihn spielen. „Ich würde mich doch nur selbst enttäuschen, wenn ich das nicht weiter verfolgen würde, wenn ich stattdessen einfach nur das machen würde, was sich für mich wie ein Spaziergang anfühlt.“ Ein wichtiger Einfluss seien zuletzt auch die vielen Abstecher in andere Ecken der Welt gewesen, sagt er weiter. „Obwohl es dort, wo ich aufgewachsen bin, wirklich nichts als Felder und den Wald gab, habe ich aktuell das Gefühl, dass New York der spannendste Ort der Welt ist. Was für ein perfekter Ort das sein muss zum Musik machen, allein schon wegen der Energie, die da in der Luft liegt… es muss einfach ein Ort sein, an dem man in sich gehen und Dinge aufschreiben kann, die ehrlich und aufregend sind.“
Es sieht allerdings nicht so aus, als würde er dafür seine Wurzeln ganz hinter sich lassen: „Wenn man bedenkt, was für eine musikalische Tradition aus Irland kommt, wie lang die Liste der Musiker und Songwriter ist, die wir hatten – dann bin ich einfach nur froh, dass ich da dazugehöre. Ich will mich auch gar nicht zu weit davon wegbewegen. Der Trick besteht letztlich darin, dass ein Song auch dann noch eine gute Geschichte erzählen und ein Gefühl auslösen muss, wenn man die ganze Produktion wegnimmt. Es gibt so ein paar Dinge, die mir wichtig sind und die jede Art von Musik auszeichnen, ganz egal, ob es sich nun um einen Hip-Hop-Künstler oder einen Singer-Songwriter handelt: Ehrlichkeit, gepaart mit einer guten Geschichte.“ Dermot Kennedy weiß schon sehr genau, worum es ihm geht – und seine eigene Geschichte, die hat gerade erst begonnen.