Die
Oper des Holzwurms muss ein durch und durch perforiertes Gebäude sein. Schließlich hat der gelehrte Winzling ein Leben lang sich durchs Gebälk gefuttert, um neben der unmittelbaren Nahrungsaufnahme auch immer einen Blick auf die hohe Kunst werfen zu können. So ist der Holzwurm der Oper wahrscheinlich eines der gebildetsten Insekten des Abendlandes, abgesehen natürlich von Motta Della, seinem geflügelten Gegenüber, mit dem er gern und ausgiebig über das Geschehen im Bühnenraum plaudert und auch manchmal ein wenig lästert. Die neuesten Ausgaben seiner Betrachtungen jedenfalls widmen sich zwei Klassikern, “La Bohème” und “Turadot”, beide passend zum Jubiläumsjahr von Giacomo Puccini, dessen 150. Geburtstag in diesem Sommer ausgiebig gefeiert wird.
Oh wie bitter ist das Leben der Bohème, stellt der Holzwurm fest, und wie reizvoll hat der gute Puccini das Ganze umgesetzt. Hurtig führt der Komponist von einer Szene zur nächsten, wobei alsbald festgestellt wird, dass sich die Oper doch deutlich von dem unterscheidet, wie sie noch Kollege und Vorgänger Giuseppe Verdi gestaltet hätte. So wie bei jenem ein Ding klar auf das nächste folgte und überhaupt zumeist ferne Charaktere aus mythischen oder historischen Zeiten auf der Bühne standen, so ist bei Puccini einiges anders. Viele Geschichten verlaufen parallel, folgen innerhalb einer Szene aufeinander und die Protagonisten könnten, bei aller Künstlichkeit, dem wirklichen Leben des späten 19. Jahrhunderts entsprungen sein.
Während also im Hintergrund sich bereits Rodolfo und seine Freunde in Stimmung singen, beobachten der Holzwurm und die Motte neugierig kommentierend das Geschehen dort im Saal von “La Bohème”. Ähnlich übrigens bei “Turandot”. Diesmal ist es Puccinis Ausflug ins Exotistische, der die beiden cleveren Insekten fasziniert. Vieles bereden sie bereits, bevor der ersten Ton erklingt, das Neue in der Musik dieser Jahre etwa, dem der Komponist durchaus zugeneigt war, wenn er auch nicht so weit ging wie der junge Schönberg. Oder Fragen der Instrumentierung, die gleich bei den ersten Xylophon-Klängen aufkommen. So wird vieles wie nebenbei im Gespräch erläutert und jeder, der den “Holzwurm der Oper” gehört hat, weiß endlich deutlich mehr über die Werke und ihre Zeiten.
Und so ist das auch gedacht. Denn der Holzwurm ist der etwas andere Opernführer für Kinder und Erwachsene, der seit Anfang der Neunziger sich inzwischen zu einem Renner der Musikratgeber-Szene entwickelt hat. Der Autor Stefan Siegert, der mit der Konzeption der Reihe beauftragt worden war, sah sich dabei zunächst vor einer kniffeligen Fragestellung: “Als die Deutsche Grammophon mir das Projekt eines CD-Opernführers für Kinder anbot, war klar: Das ging nur mit jemandem, der Kompetenz mit Leidenschaft verband, kraft Lebensgeschichte und Lebensführung glaubhaft war für Kinder, jemand, dem der Zeigefinger schon aus anatomischen Gründen nicht zu Gebote stand, ein lustiger, gern etwas schrulliger Kerl, der zugleich eine Autorität war. Eine freilich übermenschliche Mischung. Also wechselte ich auf der Suche nach meinem Helden bald von den Menschen ins Tierreich: Vom Phantom der Oper zu deren Holzwurm war es nicht weit.” Da er nun nicht nur aus der historischen Distanz agieren, sondern im Gegenteil möglichst nah am Geschehen und am Entstehungsprozess eines Werkes teilhaben sollte, musste das Leben des kunstbeflissenen Insekts mal eben weit über das menschlichen Maß gedehnt werden.
So kommt’s, dass der Holzwurm viel wissen und noch mehr erlebt haben kann als es eine menschliche Figur vermöchte. Er ist ein wundersamer, ungemein charmanter Sonderling mit der Stimme des bekannten Schauspielers Ilja Richter, sekundiert von Silke Dornow als Motta Della, und er schafft es, ebenso unterhaltsam wie charmant durch die komplexe Welt der Opern zu leiten. Damit ist die Reihe “der hinreißendste Opernführer auf dem Markt” – wie das ZDF meinte – und natürlich nicht nur etwas für Kinder.