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Daniel Hope: Irish Roots Ein Interview mit dem Künstler

Hope Irish Roots
26.04.2024
Irland liegt Daniel Hope im Blut. Dank seines Urgroßvaters väterlicherseits, Daniel McKenna aus der irischen Küstenstadt Waterford, der seine Heimat allerdings in den 1890er-Jahren verließ, um in Südafrika ein neues Leben zu beginnen. Der Vorname blieb dem Geiger und auch die Liebe zur Musik seiner Vorfahren. Nun veröffentlicht Daniel Hope Irish Roots. Sein neuestes Album erscheint am 5. Juli 2024 bei Deutsche Grammophon.
Hope hat nie in Irland gelebt. Und doch schätzt er dieses Land, das seine staatenlose Familie und ihn vor fast einem halben Jahrhundert zu Staatsbürgern machte, nachdem sie Südafrika aus politischen Gründen verlassen mussten. Seine Faszination für die Kultur und die eigene Familiengeschichte veranlasste ihn sogar, für ARTE und den WDR einen Dokumentarfilm zu drehen: Hope on the Road – Daniel Hope auf den Spuren irischer Musik. Im Frühjahr vor zwei Jahren wurde er erstmals ausgestrahlt. Und Hope ging der Verbindung von Folk und klassischer Musik in Irland nach, unterstützt durch den Musikwissenschaftler Olivier Fourés und Auftritte mit der preisgekrönten irischen Band Lúnasa.
Irish Roots ergab sich daraus fast wie von selbst, genährt vom Wunsch, die schlummernden Gene der eigenen musikalischen DNA zu erforschen und ihnen Ausdruck zu verleihen. Zu hören sind auf dem Album zum Beispiel irische Klänge aus dem vergangenen Jahrhundert von der Komponistin Ina Boyle oder Werke des großen Barden und Harfenisten Turlough O’Carolan, aber auch bekannte Weisen wie Danny Boy oder klassische Stücke von ausländischen Wandermusikern sowie das fünfte Konzert aus Vivaldis Sammlung L’estro armonico, das vor 300 Jahren in Irland große Erfolge feierte. Daniel Hope wird in der Musik von hochkarätigen Kollegen begleitet, darunter Lúnasa, die Harfenistin Siobhán Armstrong, die Flötisten Sir James und Lady Jeanne Galway, der Sänger Rea Garvey, der Multiinstrumentalist und Folkmusiker Ross Daly, der Geiger Simos Papanas und das Thessaloniki State Symphony Orchestra unter der Leitung von Daniel Geiss.
 
Wer Irish Roots hört, dem fällt auf, dass es ein überaus persönliches Album ist, selbst wenn man nichts über Sie oder Ihre Geschichte weiß. Was bedeuten Ihnen Irland und die Musik dieses Landes?
Ich hatte lange Zeit nur die irische Staatsbürgerschaft, von Anfang der 1970er-Jahre, als wir Südafrika verließen, bis vor vier oder fünf Jahren. Meinem Vater wurde damals von den südafrikanischen Behörden ein sogenanntes Exit-Visum ausgestellt, im Grunde bedeutete das: »Raus! Und auf nimmer Widersehen.« Wir verloren unsere südafrikanische Staatsbürgerschaft und strandeten als staatenlose Exilanten erst in Paris, dann in London. Meine Mutter fand heraus, dass man die irische Staatsbürgerschaft beantragen kann, wenn man eine irische Großmutter hat. Sie trieb in Waterford mehrere Geburtsurkunden und andere Dokumente auf, füllte einige Formulare aus und plötzlich waren wir Iren! Diese Papiere wurden mir also quasi in die Hand gedrückt, als ich noch nicht einmal laufen konnte. Mir ist erst viel später klar geworden, dass das wahrscheinlich unsere Rettung war. Auf jeden Fall aber bedeutete es, dass wir in London bleiben und arbeiten konnten, was wiederum dazu führte, dass meine Mutter die Sekretärin von Yehudi Menuhin wurde. Ich habe meine irische Staatsbürgerschaft behalten, weil ich Irland besonders dankbar bin und weil ich weiß, wie wichtig das alles für meine ganze Familie war.
Ich lernte meine irischen Verwandten kennen, insbesondere meine Großmutter, deren Vater Daniel McKenna – mein Namensvetter – von zu Hause wegrannte, um nach Südafrika zu gehen, kurz vor Ausbruch des Zweiten Burenkrieges 1899. Meine Großmutter und ihre Schwester wuchsen in Südafrika auf, sprachen aber oft über ihre irischen Wurzeln. Diese Geschichte hat uns immer begleitet und findet sich auch in den Büchern meines Vaters, in denen er viel über Irland, seine irische Identität und seinen Großvater spricht. Kürzlich haben wir in Johannesburg das Grab von Daniel McKenna gefunden, das war ein bewegender Moment. Als ich den Dokumentarfilm drehte, entdeckten mein Vater und ich auch das winzige Reihenhaus im irischen Waterford, in dem mein Urgroßvater aufgewachsen war. Nur ein paar Türen weiter fiel mir in derselben Straße eine Tafel an der Wand eines Nachbarhauses auf. Darauf war zu lesen, dass die Gebrüder Flanagan, »Botschafter der irischen Musik in Amerika«, in jenem Haus viele Jahre lang gelebt hatten, bevor sie nach New York gingen, wo sie in den 1920er- und 30er-Jahren Begeisterungsstürme in den Tanzsälen auslösten. Durch ihre Schallplatten wurden sie noch populärer und erfolgreicher und waren weltweit in den Häusern irischer Emigranten zu hören. Neben anderen Hits schrieben sie auch Red Haired Boy, ich habe den Song für das Album eingespielt. Der Gedanke, dass die zwölfköpfige Familie McKenna, die in dem Haus blieb, nachdem mein Urgroßvater Irland verlassen hatte, und die Flanagans an einem lauen Sommerabend in dieser Straße sangen, tanzten und musizierten, war einfach unfassbar!
Natürlich ist es das eine, einen irischen Pass zu haben und enge familiäre Bindungen zu Irland, aber für mich ist es etwas ganz anderes, irische Musik tatsächlich aufzuführen. Ich war mir nicht sicher, ob ich einen Vorstoß in diese reiche Klangwelt wagen sollte. Deshalb behielt ich das Ganze für mich, mehr als zehn Jahre lang, und begann im Stillen und ganz privat zu studieren, zu lesen und zu forschen.
 
Wieso trauten sie sich schließlich zu, traditionelle irische Musik auch zu spielen?
Wie viele Menschen höre ich gerne irische Musik, seit ich denken kann. 2004 übernahm ich erstmals kuratorische Aufgaben beim Savannah Music Festival, dessen klassisches Programm ich anschließend 16 Jahre lang begleitet habe. Lúnasa wurde 2006 für ein Konzert gebucht, und der Direktor des Festivals, Rob Gibson, bestand darauf, dass ich sie mir anhöre. Ich war wirklich fasziniert von Lúnasa, vom Klang der Uilleann Pipes in den Händen von Cillian Vallely, von Seán Smyth, der meisterhaft die Fiedel beherrscht, oder von Kevin Crawford, der wie ein Besessener die Flöte spielt. Die ganze Gruppe war enorm inspirierend. Und da war etwas, was sich vertraut anfühlte. Aber im Grunde war es egal, ob ich die Musik spüren konnte oder sie etwas in mir auslöste. Sie auch selbst zu spielen, das war die Herausforderung. Allerdings wusste ich, dass dieser Moment eines Tages kommen würde. 2016 trat Lúnasa beim Schleswig-Holstein Musik Festival auf, zu dem ich eine sehr enge Beziehung habe. Sie fragten an, ob ich sie nicht bei einem Set begleiten will. Und damit war es so weit. Ich habe zugesagt! Wir spielten Morning Nightcap, das ich schon in Savannah gehört hatte. Wahrscheinlich dachten sie, dass ich bei diesem Stück weniger Mist bauen kann. Ich hab’s dann vermasselt – aber wenigstens mit Überzeugung!
Als wir in Schleswig-Holstein später bei einem Bier zusammensaßen, sagte ich: »Übrigens bin ich Ire«. Sie konnten das erst nicht glauben. Wir sprachen über meinen Urgroßvater und den ganzen McKenna-Clan, und für sie stand sofort fest, dass wir etwas zusammen machen müssen. Das war die Initialzündung. Ich machte mir Gedanken über ein Programm mit irischer Musik und fragte mich, ob mir die Musik wohl so selbstverständlich werden könnte, dass ich sie beim nächsten Auftritt mit Lúnasa ohne große Maleschen spielen würde. Dass sie jemanden von außen aufnahmen, in eine Gruppe, die in sich so geschlossen und aufeinander abgestimmt ist, war ein absolutes Geschenk. Ich habe mich beim Musizieren selten so wohl gefühlt wie bei ihnen.
Lúnasa war überzeugt, dass wir zusammen ein ganzes Konzert auf die Beine stellen könnten. 2023 war es so weit, gleich dreimal hintereinander und wiederum beim Schleswig-Holstein Musik Festival. Die Jungs empfingen mich mit offenen Armen und ich war sofort dabei. Mir war es besonders wichtig, dass sie bei diesem Album mitmachen, weil sie mich in die Welt der irischen Musik eingeführt haben. Ich habe tagelang mit ihnen geprobt und mir stundenlang angesehen und angehört, wie Seán die Fiedel spielt, bevor ich es selbst versucht habe. Anschließend haben wir die Musik in den Windmill Lane Studios in Dublin aufgenommen, wo schon U2, The Chieftains und sogar die Rolling Stones ihre Platten gemacht haben. Am Ende der Sessions meinten sie, dass es ihnen richtig gutgetan hat, das Gewohnte hinter sich zu lassen und Stücke, die sie seit Jahren gemeinsam spielen, neu zu überdenken. Und für mich war es natürlich geradezu magisch, gemeinsam Musik zu machen.
Nachdem wir in Schleswig-Holstein Morning Nightcap aufgeführt hatten, setzte ich mich mit der Beziehung zwischen irischer traditioneller und klassischer Musik auseinander. Dabei stieß ich auf Werke von Komponisten wie dem einst in Dublin ansässigen gebürtigen Ungar Johann Sigismund Kusser oder dem anglo-irischen Musiker Thomas Roseingrave oder dem großen irischen Barden Turlough O’Carolan und ich lernte, wie populär Stücke von Vivaldi und Domenico Scarlatti im Irland des 18. Jahrhunderts waren. Scarlatti ist damals sogar in Dublin aufgetreten.
 
Die Komponisten, die sie gerade erwähnten, spiegeln den kosmopolitischen Charakter der Musik in Irland wider, insbesondere im Dublin des 18. Jahrhunderts, das praktisch die zweite Stadt des wachsenden britischen Imperiums war und ein wichtiges Ziel für Musiker aus ganz Europa. Wie haben Sie die klassischen Stücke gefunden, die auf dem Album zu hören sind?
Ich habe den außergewöhnlichen Musikwissenschaftler Olivier Fourés konsultiert. Er fragte mich, ob ich wüsste, welches das berühmteste Musikstück auf den britischen Inseln, einschließlich Irlands, im 18. Jahrhundert war. Ich wusste es nicht. »Das Fünfte von Vivaldi«, sagte er, das Konzert Nr. 5 für zwei Violinen in A-Dur aus Vivaldis L’estro armonico, op. 3. Es wurde von dem in London geborenen Violinisten Matthew Dubourg in Irland eingeführt. Der hatte nämlich bei Francesco Geminiani studiert und wurde 1728 Kussers Nachfolger als »Master and Composer of State Music« in Irland. Dubourg leitete das Orchester 1742 bei der Uraufführung von Händels Messiah in Dublin, zufälligerweise in dem Jahr, in dem meine Geige gebaut wurde. Und Dubourg nutzte Vivaldis Nr. 5, um seine Virtuosität unter Beweis zu stellen. Das Konzert wurde derart populär, dass es auch in Opern- und Theaterproduktionen zwischen den Akten aufgeführt wurde. Der Scarlatti-Kult, der Irland in den frühen 1740er-Jahren ereilte, ist wiederum Roseingrave zu verdanken. Er hatte als Teenager Domenico Scarlatti in Italien kennengelernt und war geradezu besessen von dessen Musik. Diese Komponisten trugen dazu bei, dass die italienische Musik nach Irland kam, wo sie dann in die heimische Kultur einfloss. In der Gavotte aus der fünften seiner Eight Suits of Lessons for the Harpsicord or Spinnet, die erstmals in den 1720er-Jahren veröffentlicht wurden, kann man hören, wie Roseingrave Folklore und Klassik zusammenbringt.
Olivier erzählte mir sogar von einmaligen Fassungen von Vivaldis Musik. Sie sind in der Bibliothek des Trinity College Dublin als Slip Jigs erhalten und wurden wahrscheinlich nur in Irland gespielt. Mich beschäftigte dann, wie man das Programm so auffächern könnte, dass es traditionelle irische Melodien fasst – Musik, die jeder kennt, etwa »Molly Malone« und »Danny Boy« –, aber auch barocke Stücke, die in Irland einst populär waren. Einige Einfälle habe ich in Konzerten ausprobiert. Die Verbindung zwischen Volksmusik und klassischer Musik in Irland hat mich immer mehr begeistert, insbesondere in ihrer außergewöhnlichen, kreativen Mischung. Und daraus ist Irish Roots erwachsen.
 
Das Album enthält Stücke eines anderen großen Musikers aus dem Irland des 18. Jahrhunderts, Turlough O’Carolan. Warum ist er so bedeutend?
O’Carolan erlernte die Harfe, nachdem er als Teenager sein Augenlicht verloren hatte. Er war ein ausgezeichneter Interpret, Komponist und Songschreiber, der eine Brücke zwischen traditioneller und klassischer Musik schlug, indem er Elemente des italienischen Konzerts in seine Kompositionen einarbeitete. Ob er Geminiani in Dublin getroffen hat oder nicht, macht keinen Unterschied, obwohl es durchaus möglich war, in jedem Fall aber verweist O’Carolans Concerto auf Vivaldi und das barocke Concerto grosso. Und O’Carolans Farewell, so atemberaubend schön und bewegend, ist fast wie ein Klagelied aus einer barocken Oper.
Wenn ich O’Carolan und traditionelle irische Lieder im Konzert gespielt habe, hat diese Musik die Menschen besonders berührt: Es ist etwas Fröhliches und Optimistisches darin und auch eine charmante Sehnsucht nach einem Irland, wie wir es uns vorstellen.
Auf dem Album ist ein schönes Stück von Ina Boyle, die zunächst in Dublin und später bei Vaughan Williams in London studiert hat. Ihre Phantasy für Geige und Kammerorchester stammt aus dem Jahr 1926, wurde aber erst unlängst wiederentdeckt. Obwohl das Stück kurz ist, hat es eine enorme Kraft. Wie sind Sie auf die Musik von Ina Boyle gestoßen?
Als ich mich auf die Produktion des Dokumentarfilms vorbereitet habe, tauchte ihr Name auf. Ich habe die Ina Boyle Society kontaktiert und erfuhr von einem Stück, das bislang kaum aufgeführt worden ist. Und dann wurde mir Boyles Phantasy zugeschickt und es stand für mich fest, dass wir diese Musik für den Film aufnehmen müssen – und auch für das Album, für das ich sie allerdings noch einmal neu einspielen wollte. Es war eines der Stücke, das wir mit dem Thessaloniki State Symphony Orchestra aufgenommen haben, einem fabelhaften Orchester, dem ich eng verbunden bin. Wir haben auch Makrinitsa von Ross Daly mit dem Orchester eingespielt. Daly ist ein Musiker irischer Herkunft, der die meiste Zeit seines Lebens auf Kreta gelebt hat und die griechische Musik ganz neu zu Gehör gebracht hat, indem er sie mit unterschiedlichen Musiktraditionen, auch der irischen, in Beziehung setzte. Der großartige Geiger Simos Papanas – ein sehr guter Freund von mir, Konzertmeister des Thessaloniki-Orchesters, außerdem habe ich das AIR Ensemble mit ihm gegründet – spielt die zweite Geige im Vivaldi-Konzert und bei mehreren anderen Stücken eine wichtige Rolle im Ensemble. Alles auf dem Album ist auf diese Weise miteinander verbunden, durch Freundschaft und kulturellen Austausch – denn irische Musik hat sich immer schon an die ganze Welt gerichtet und irische Musiker und ihre Geschichte berühren die Menschen, ganz gleich, wohin das Leben sie verschlagen haben mag.

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