Seine eigentliche Stimmlage entdeckte der italienische Tenor Carlo Bergonzi erst beim zweiten Anlauf. Am 13. Juli 1924 im italienischen Vidalenzo geboren, studierte er am Konservatorium Arrigo Boito von Parma zunächst das Bariton-Fach. Seine Bühnenpremiere feierte er 1948 in Lecce in Rossinis “Il Barbiere Di Siviglia” in der Rolle des Figaros. Er schlüpfte daraufhin in die Figur des Rigoletto und des Marcel aus Puccinis “La Bohème”, war jedoch nicht zufrieden mit den stimmlichen Resultaten seiner Aufführungen und begann drei Jahre später erneut zu studieren. Die Skepsis hatte ihren Grund, denn erst als er sich auf die höhere Lage des Tenors einließ, hatte er seine wirkliche Stimme gefunden. Sein Debüt im neuen Fach bot er am 12. Januar 1951 in Bari als André Chénier in Umberto Giordanos gleichnamiger Oper.
Von da an ging es Schlag auf Schlag. Kurz darauf engagierte ihn der italienische Rundfunk als Gast der Feierlichkeiten zu Verdis fünfzigstem Todestag. Seine Stimme erschallte daraufhin landesweit und wurde von den Radiohörern begeistert aufgenommen. In den folgenden Jahren sang Bergonzi reichlich Verdi und wurde mit Rollen in “Giovanna D’Arco”, “La Forza del Destino” und “Simone Boccanegra” gefeiert. Solchermaßen in kurzer Zeit zum Star der nationalen Tenorszene aufgestiegen, ließen auch die Einladungen an die großen Häuser Europas und der USA nicht lange auf sich warten. Bergonzi wurde 1955 nach London und Chicago (“Il Tabarro”, “Cavalleria Rusicana”) eingeladen. Im folgenden Jahr wiederum gab er seinen Einstand an die Met (“Aida”, “Il Trovatore”). Das Publikum war hingerissen und so gehörte Bergonzi bis zum Jahr 1972 zum festen Bestandteil der Spielzeiten an der Metropolitan Opera.
Seit den späten Fünfzigern wuchs sein Renommee beständig, besonders nachdem er an der Seite von Maria Callas in Donizettis “Lucia Di Lammenmoor” brilliert hatte. Bergonzi entwickelte sich zu einem der führenden Tenöre des italienischen Repertoires, sang über 60 verschiedene Partien mit einer stilistischen Bandbreite von Amilcare Ponchielli bis Jules Massenet, wobei seine Lieblingsrolle der Alvaro in “La Forza del Destino” blieb. Bergonzi verfügte über eine ausgefeilte Atemtechnik und eine vokale Farbpalette, die es ihm ermöglichte, sehr unterschiedliche Charaktere dazustellen. Carlo Bergonzi beendete offiziell seine Bühnenkarriere vor zwölf Jahren.
Die letzten großen Konzert gab er darüber hinaus 1995 und noch einmal 2000 an der Wiener Staatsoper. Seitdem gönnt er sich die Ruhe des Alters, die er sich nach einem knappen halben Jahrhundert auf der Bühne redlich verdient hat. Anlässlich des 80.Geburtstages veröffentlichte die Decca zwei Zusammenstellungen, die an die goldenen Jahre des großen Tenors erinnern. Da ist zum einen die 3CD-Box “Verdi Arias” mit einer chronologischen Auswahl berühmter Arien, zum anderen die Wiederauflage der Langspielplatte “Operatic Recitals”, die er 1957 aufgenommen hatte und zu einem seiner beliebtesten Alben avancierte.
6/2005