Brown-Eyes White Boy
“Metanarkose”
Album-VÖ: 24.01.25
Brown Eyes White Boy kann man eine außergewöhnliche Jugend attestieren. Im Alter von gerade 12 Jahren beginnt für ihn 2016 im Internet eine handfeste Musikkarriere. Die größten Schlachtfelder dieser Jugend eröffnen sich ihm allerdings nicht in der Öffentlichkeit; der Schauplatz seiner Kämpfe bleibt lange sein Inneres. Auf dem neuen Album “Metanarkose” schält Brown Eyes White Boy seine noch immer sehr junge Psyche aus den vielen dünnen Wänden eines engen Kokons, um bald endlich freier atmen zu können.
Wenn scheinbar alles richtig läuft, sich dabei aber schlecht anfühlt, ist es Zeit, einen Strich zu ziehen. Brown Eyes White Boy hat genau das gemacht. Auf den zehn neuen Songs führt ihn das durch eine Katharsis. Denn: Auf die Widrigkeiten, die er hinter sich gelassen hat, kann man als Teenager nicht vorbereitet sein. Sein früher Internet-Fame crasht in eine Außenseiter-Jugend, die Scheidung seiner Eltern, ein andauerndes Ringen mit Sucht und Drogen, das er nicht nur bei sich selbst, sondern auch im unmittelbaren privaten Umfeld miterlebt, die Diagnosen seiner Epilepsie-Erkrankung und einer Depression. “Wie soll ich unter euch leben? Ich bin nicht wie die andern”, notiert Brown Eyes White Boy im Song “Narben” heute unaufgeregt, während sich immer wieder vernuschelte Flashbacks unter geläuterte Schilderungen in seinen Zeilen mischen.
Es ist nachvollziehbar, dass er früh eine Neigung dazu entwickelt, sich mit der Hilfe von Rauschmitteln selbst auszuklinken. Den ersten Hype um seine Durchbruch-EP “Vibes”, ein Feature mit Trettmann und Berichterstattung in beinahe allen deutschen Rap-Medien, durchlebt er quasi auf eigene Faust. So lange es geht, hält er vor seiner Familie tatsächlich nicht nur den Konsum, sondern auch die Musikkarriere geheim. Über die Teenagerjahre findet sich aber auch Platz für den Umgang mit psychischen Struggels in seinem Umfeld. “Es gibt überall sensible Leute, die verstehen, was Depression ist und es gibt die Leute, die sagen dir nur ‘Mach halt Sport’.” resümiert er eine Lebensphase, die in “Metanarkose” noch viel nachhallt. In “Kinder der Pharmaindustrie”, geht er mit Versuchen, sich die Realität erträglicher zu gestalten, mittlerweile gewitzt um und stilisiert beiläufig ausgehöhlte Erlösungsversprechen von Glaube und Religion zur Pointe.
Mit 18 Jahren lässt Brown Eyes White Boy Salzburg und seine Kindheit dann hinter sich. Verlagert seinen Lebensmittelpunkt allein nach Wien. Und obwohl er sich dort radikal mit sich selbst konfrontiert, sich sogar stationär Hilfe sucht, zerrt ihn sein Konsum erst einmal auf einen mentalen Tiefpunkt. In dieser Zeit entsteht mit “Graue Bündel” gerade sein siebtes Projekt in sechs Jahren. Ohne danach mit seinen eigenen Dämonen in den Dialog zu treten, wäre “Metanarkose” nicht möglich gewesen.
Dafür hat sich Brown Eyes White Boy komplett in die Introspektion begeben, hinein in den kleinen Kokon, in dem “Metanarkose” stattfindet. Diese Umgebung hat seinen Schaffensprozess merklich beeinflusst. Er ist als Teil der Soundcloud-Era der 10er groß geworden. Heißt in den meisten Fällen: Beat picken, aufnehmen, (relativ grob) abmischen und erst einmal nicht weiter darüber nachdenken. “Mach' mein Leben zu einem Cartoon” rappt er 2021 auf “Graue Tage” und fängt damit seinen Spirit perfekt ein. Aus diesem Anspruch ist bisher eine beachtliche Diskographie gewachsen, in der die Sound-Vielfalt des globalen Rap-Zeitgeists mit seinem eigenen Leben verschmelzen. Obwohl Brown Eyes White Boy schon dort immer viel Platz für seine Emotionen geschaffen hat, fordert “Metanarkose” von Beginn an etwas anderes von ihm ein. Das ist – wie einen Großteil seiner Jugend davor – auch von außen zu beobachten. Seit nun mehr als einem Jahr geistert der Albumtitel schon durchs Internet. Die beiden Singles “Ikarus” und “Schwebebahn” markieren für Brown Eyes White Boy damals – im Frühjahr 2023 – die Abkehr von den Popkultur-Motiven, Trap-Hats und der bunten Online-Mixtape-Ästhetik zugunsten des Pianos von Produzent Enzo Gaier. Aus den Versatzstücken zahlreicher Sessions das notwendige Album zusammenzustellen, sorgt nach dem doppelten Aufschlag aber erstmal für monatelange Stille. Dass das einen kleinen Resonanzraum für Rückzug und Ruhe offen gehalten hat, ist heute klar zu hören. Durch seine gewohnt intuitiv strukturierten Texte hallt wie selbstverständlich ein Realisations- und Reflexionsprozess vieler Kämpfe seiner Teens. Dieses Ringen mit sich selbst, mit dem eigenen Schatten, wird zum zentralen Motiv des Albums. Wenn ein wütender Breakbeat Brown Eyes White Boys flehende Stimme in “Zwilling” rücksichtslos weiter nach vorne peitscht, dann erlebt man es sehr deutlich.
Die Härte dieses Ausbruchs bleibt auf “Metanarkose” einzigartig. Allein mit Texten und Gefühl füllt Brown Eyes White Boy das Album bis an seine dicht um ihn herum verlaufenden Konturen aus. Unter anderem gemeinsam mit den Executive Producern Johannes Römer und Enzo Gaier hat er um sich herum deshalb viel aufgeräumt. Das Rap-Raster seiner bisherigen Projekte hat sich dabei früh aufgelöst. “Ich hab' nie Musik mit einem konkreten Ziel vor Augen gemacht. Und das hat sich einfach richtig angefühlt. Ich konnte ohne Beats das sagen, was ich gefühlt habe, ohne daran zu denken, wie es ankommt.” erklärt er die stilistische Wende. Unbedingt überraschend kommt ein neuer Sound nicht, gleicht doch kein Brown Eyes White Boy Release einem anderen. Den experimentierfreudigen Stimmeinsatz seiner Tapes hat er sich beibehalten und weiter ausgebaut. Wo er in den vergangenen Jahren gelernt hat, einem Loop mit der Bandbreite von Mumble-Flows bis zum Schreien notwendige Dynamik einzuhauchen, winden sich auf “Metanarkose” jetzt oft filigrane Instrumentierungen um ihn herum. Die Andeutung eines Beats, die “Nagellackentferner” zugrunde liegt, hält noch ähnlich viel zusammen, wie die zerbröckelnde Beziehung von der Brown Eyes White Boy darauf berichtet.
Eingerahmt von “Traumfänger” und “Klettverschluss” klettert Brown Eyes White Boy über diesen Mittelteil des Albums behutsam aus seinem eigenen Kopf in die neue Freiheit. Mit Eindrücken aus den gescheiterten wie den guten, andauernden und neuen Beziehungen komprimiert er Situationen, in denen das Leben ihn aus der Reserve lockt. Das führt in dem mantrahaften “Traumfänger” mit Zeilen wie “Falscher Pfad – ist egal, ich find' den Weg mit dir” zum optimistischen Moment von “Metanarkose” und in “Klettverschluss” schließlich zur nüchternen Akzeptanz, dass man sich durchaus Momente der Hoffnungslosigkeit erlauben muss.
Je näher man dem Ende des Albums kommt, desto näher rückt eine Gewissheit, dass in seiner Rückschau vor allem ein Anfang steckt. Trotz der ganzen Aufarbeitung verbleibt Druck im Brustkorb. “Dieser kleine Junge” wird seinen großen Schatten nicht los. Und der fordert auch nach dem Schmerz von zehn Songs noch teure Lungenpflege zur Betäubung oder bietet allzu gern die Flucht in einen viel zu hektisch laufenden Kopf an. Damit Frieden zu schließen, während man sich andauernd selbst beobachtet, bleibt für Brown Eyes White Boys eine Aufgabe. Der Boden aber, auf dem er sich gerade bewegt, ist sicherer denn je. Und vielleicht kommt er irgendwann wirklich; Der Tag, an dem auf einmal alles passt.