Benjamin Biolay hat so seine Marotten. Wenn er ein Studio betritt, in dem ein Piano steht, spielt er sich erst einmal warm. Nicht selten stimmt er dabei Lieder von
Charles Trenet an, dem Gründervater des zeitgenössischen Chansons und Schöpfer von legendären Welthits wie “La Mer”. Ganz natürlich ist daraus die Idee eines Charles-Trenet-Albums entstanden, die er nun gemeinsam mit dem Gitarristen und Bassisten
Nicolas Fiszman und dem Schlagzeuger
Denis Benarrosh in die Tat umgesetzt hat. Die beiden Musiker begleiten Biolays exzeptionelle Karriere schon seit geraumer Zeit und waren bereits auf seinem Opus magnum “La Superbe” (2009) mit von der Partie. Für
“Trenet” bilden die drei Musiker nun ein klassisches Jazztrio, das bei einigen der insgesamt 13 Tracks zusätzlich von einem 26-köpfigen Orchester unter der Leitung von Nicolas Guiraud begleitet wird.
Benjamin Biolay, ein Allroundmusiker (und wie Trenet auch Schauspieler), dessen Soloalben sonst vor Ideenreichtum und Experimentierlust nur so überquellen, zeigt sich auf “Trenet” so traditionsbewusst und nostalgisch wie wohl nur selten zuvor. Die Aufnahmen klingen intim und hoch konzentriert, akribisch arrangiert, sind von einer zeitlosen Qualität und dennoch sommerlichen Leichtigkeit und Frische. Chansons nach französischem Reinheitsgebot!
Biolay versteht es gleichwohl immer wieder, ganz eigenwillige Akzente zu setzen. Mal spielt er Violine, mal Posaune, mal Wurlitzer, oder bringt, wie bei “Verlaine” (Trenets berühmte Adaption von Paul Verlaines “Chanson d’automne”) den Song mit bloßem Pfeifen zum Swingen.
“Le Grand Café” überzeugt mit einem temperamentvollen Gypsy-Swing auf den Spuren von Django Reinhardt, einem Idol Trenets, der wohl auch bei
“La piano de la plage” Pate gestanden hat. “Vous qui passez sans me voir”, das einzige Chanson des Duos Charles et Johnny, lässt dagegen eher an die melancholischen Balladen von Chet Baker denken, was auch dem wunderbaren Trompetenspiel von Biolay geschuldet ist, mit dem er auch
“Revoir Paris” herrlich nostalgische Noten verleiht.
Paris ist im Werk von Trenet der Nabel der Welt. Der romantischsten Metropole der Welt setzte Trenet mit Chansons wie eben jenem
“Revoir Paris” sowie mit
“En avril à Paris” und
“La Romance de Paris”, aber auch mit
“Coin de rue” oder
“Le Grand Café” musikalische Denkmäler – Ikonen ihrer Zeit wie die berühmten Photos Pariser Straßenszenen von
Robert Doisneau oder
Henri Cartier-Bresson.
Biolay, Fiszman und
Benarrosh haben genau jene Stärken von
Charles Trenet aufgegriffen und die eher koketten und mitunter skurril-surrealen Songs außer acht gelassen. Sie schwelgen geradezu in dieser urwüchsig-französischen Romantik und erschaffen eine erhabene Klangästhetik. Mit dem abschließenden
“La chanson du faussaire” hat
Benjamin Biolay, der Meister des “nouvelle chanson”, schlussendlich noch einen eigenen Song ganz im Geiste von Charles Trenet komponiert, der dieser gefühlvollen Hommage noch eine kleine Krone aufsetzt.
“Trenet” – C’est très très bien!
Über Charles Trenet:
Charles Trenet, geb. am 18.05.1913 in Narbonne, stammt aus einer Anwaltsfamilie. Seine künstlerische Begabung zeichnet sich früh ab. Bereits als Kind schreibt er Gedichte, malt und modelliert. Als Jugendlicher studiert er an der Kunstgewerbeschule in Berlin, kehrt aber bald nach Paris zurück, wo er den Lyriker
Max Jacob kennen lernt, von dem er stark beeinflusst wird. Seine ersten Chansons schreibt er für einen Film, ein Medium, das ihn ebenfalls fasziniert und wo er später als Schauspieler reüssieren wird. Erste Erfolge mit Chansons feiert er im Duo Charles et Johnny gemeinsam mit dem Jazzpianisten Johnny Hess, einem Schweizer mit einer Vorliebe für Swing.
Nach seinem Militärdienst setzt
Charles Trenet seine Musikerkarriere als Solokünstler fort. Er schreibt für andere Künstler wie Maurice Chevalier und
Yves Montand, während er selbst meist mit Anzug, Krawatte und kleinem in den Nacken geschobenen Fedora-Hütchen auftritt und sich durch seinen koketten Charme und Witz den Beinamen “Fou chantant”, der “verrückte Sänger”, verdient. Die 1940er und 1950er sind die beiden Dekaden seiner größten Erfolge. Aus der romantischen Ballade “Que reste-t-il de nos amours?” (1942) wird später einer der ganz großen Jazzstandards. “L’Âme des poètes” (1951) dürfte Jean Cocteau, guter Freund und ebenfalls erklärter Fan von Trenet, gefallen haben. Mit dem Welthit “La mer” avanciert Trenet endgültig zum Nationalheiligen. Seine Homosexualität verheimliche
Charles Trenet jedoch bis zuletzt. Bis ins hohe Alter bleibt Trenet musikalisch aktiv, hinterlässt schließlich über 1000 Chansons, als er im Alter von 87 Jahren 2011 stirbt. Es ist genau das Jahr, in dem
Benjamin Biolay mit “Rose Kennedy” sein Debütalbum veröffentlicht.
Juni 2015