Was hat sie nicht alles erreicht! Eine internationale Bühnenkarriere ohnegleichen, gefeierte Aufnahmen, Preise über Preise und nach ihren Auftritten immer wieder der frenetische Beifall des Publikums, das sich für ihre überragende Interpretationskunst von Beginn an erwärmen konnte.
Der Startschuss
Mit ihrer Ausbildung ließ sie sich Zeit. Ihre naturschöne Stimme brauchte Pflege und Zuwendung. Das wusste
Anne Sofie von Otter instinktiv. Deshalb spürte sie in ihren jungen Jahren erst einmal sorgsam den physischen Möglichkeiten ihrer Stimme und den emotionalen Facetten ihres Ausdrucks nach. Am heimischen Konservatorium in Stockholm erlernte sie die technischen Fertigkeiten, die nötig sind, um es zu absoluter musikalischer Größe zu bringen. Darauf folgten Vertiefungsstudien bei
Erik Werba in Wien und
Vera Rózsa in London.
An den Opern von Drottningholm und Basel feiert sie ihre ersten Bühnenerfolge. Sie singt dort unter anderem den Cherubin in
Mozarts Oper “
Die Hochzeit des Figaro” und den Orpheus in
Glucks Oper “
Orpheus und Eurydike”. 1986 gewinnt sie den Preis der Maria Callas-Stiftung und wird international bekannt. In jener Zeit kommt sie auch mit der
Deutschen Grammophon zusammen, bei der sie 1985 unterschreibt. Die Euphorie ist gewaltig. Es ist wie ein Startschuss. Sie nimmt Album für Album auf. Ein enormer Fundus entsteht, auf den sie jetzt, 30 Jahre danach, dankbar zugreifen kann, um sich zu ihrem 60. Geburtstag so richtig zu belohnen.
Beseelte Stimme
Das hat sie getan. Sie hat mit ihrem Label das Material gesichtet und eine Auswahl getroffen. Dabei ließ sie sich offenbar nicht allein von ihren persönlichen Neigungen leiten, sondern auch von dem programmatischen Gesichtspunkt, ein umfassendes Bild ihres Schaffens zu zeichnen. Das Resultat ist überwältigend. Die Sammlung ist überaus reich. Diese Geburtstags-Edition ist nicht nur für Anne Sofie von Otter ein großes Geschenk, sondern auch für ihr Publikum.
Die schwedische Sängerin interpretiert barockes Repertoire (
Händel,
Monteverdi u.a.), romantische Kunstlieder (
Brahms) und Liedkompositionen des 20. Jahrhunderts (
Berg, Weill u.a.). Sie singt Operette (
Offenbach), Volksliedgut und moderne Kompositionen aus ihrer schwedischen Heimat sowie schließlich Popmusik der 80er Jahre (Elvis Costello, Abba). All das liegt jetzt, begleitet von einem informativen
Booklet-Essay des britischen Musikjournalisten
Andrew Stewart, in gebündelter Form vor.
Große Gefühle
Und ob sie sich als Opernsängerin, Chansonette oder Pop-Interpretin betätigt – Anne Sofie von Otter, die mit Größen wie
Reinhard Goebel,
John Eliot Gardiner und
Marc Minkowski zusammengearbeitet hat, weiß immer, was sie tut. Gegenüber Andrew Stewart gibt sie zu Protokoll, dass sie stets auf das vertraut habe, was die Musik ihr “zu sagen hatte, also auf das, was ein inneres Feuer in mir entfacht”, und das merkt man ihren Interpretationen an. Sie widmet sich dem jeweiligen Komponisten mit ungeheuer Einfühlsamkeit und technischer Finesse. Wenn sie mit ihrem überaus warmen Timbre Händel-Arien singt, dann tut sie dies mit sanft gleitenden Koloraturen und sinnenfrohem Pathos.
Den Zauber Offenbachs birgt sie mit unwiderstehlicher Koketterie, und Alban Bergs Lieder füllt sie mit enormer dramatischer Kraft an. Bei den Liedern von Wolfgang Korngold stellt sie unter Beweis, dass sie keinerlei Angst vor großen Gefühlen hat, und das ist auch die Basis ihrer Pop-Interpretationen. Wenn sie Costello oder Abba singt, dann stellt sie ihre stimmliche Perfektion als Opernsängerin geschickt zurück und schmiegt sich sacht der emotionalen Singkultur des Pop an. Mit äußerst diskretem Charme bringt sie dabei ihre solide Ausbildung ins Spiel. Zum Beispiel in dem Abba-Song “Like An Angel Passing Through My Room”, den sie unfassbar still und innig singt. Ein solches Piano singt nur eine wahrhafte Meisterin, und das ist Anne Sofie von Otter.