“Ich mag es, wenn im Studio nicht eingeplante Dinge passieren”, sagt Amos Lee. “Die Formen, die Dinge dort annehmen, die Manipulation des Klangs – das ist für mich ein Lernprozess. Wenn ich Songs einfach nur auf der Gitarre komponiere, passiert dies nicht. Und normalerweise ist das Zeug, das einem am meisten gefällt, genau das, was überhaupt nicht geplant war. Deshalb versuche ich, möglichst nichts zu erzwingen, weil sonst auch der Spaß flöten geht.”
Für sein fünftes Album “Mountains Of Sorrow, Rivers Of Song” schlug Lee einen neuen Pfad ein: er machte es in einer neuen Stadt mit einem neuen Produzenten, während er gleichzeitig zum ersten Mal mit seiner Tour-Band ins Studio ging. Die zwölf Songs, die dabei herauskamen, führen Lee auf neues klangliches Territorium, wobei die Szenarien, Charaktere und Geschichten seiner Lieder genauso pointiert sind wie die seines letzten Albums “Mission Bell”, mit dem er 2011 den ersten Platz der US-Charts eroberte. Mit “Mountains Of Sorrow, Rivers Of Song” begeht Amos Lee sein zehnjähriges Jubiläum bei Blue Note Records. In der Zeit, die seit seinem titellosen Debütalbum verstrichen ist, hat er sich enorm entwickelt und immer wieder überrascht. Mit der Veröffentlichung zog der aus Philadelphia stammende frühere Lehrer 2004 nicht nur sofort die Aufmerksamkeit der Medien und anspruchsvollen Musikfans auf sich, sondern auch die seiner Künstlerkollegen. Er tourte danach mit Legenden wie Bob Dylan und Paul Simon, arbeitet mit Norah Jones und Lucinda Williams zusammen und wurde den Mitgliedern von Lady Antebellum und The Band Perry regelmäßig als Lieblingssongwriter und -performer genannt.
Amos’ oberstes Ziel war schon immer, alles so simpel wie möglich zu halten. Und für die Aufnahmen von “Mountains Of Sorrow, Rivers Of Song” hatte er nur eine Vorgabe: er wollte das Album unbedingt mit den Musikern aufnehmen, die ihn auf seinen Tourneen begleiten. “Ich wollte die Songs mit Leuten einspielen, denen ich musikalisch vertraue, und sehen, wohin es uns führen würde”, sagt er. “Die Tour-Band arbeitet wirklich hart, die Bandmitglieder sind sehr musikalisch und es macht Spaß mit ihnen abzuhängen. Deshalb war es cool, sich mit ihnen für ein paar Wochen im Studio zu verschanzen und Dinge einfach auszuprobieren. In der Singer-Songwriter-Welt kann der kreative Prozess eine ziemlich einsame Angelegenheit sein. Deshalb ist es gut, mit anderen Leuten zusammenzuarbeiten und Songs gemeinsam zum Leben zu erwecken.” Fast alle Nummern wurden live und in nur wenigen Takes eingespielt. Das Album war das erste Projekt, das in einem brandneuen Studio aufgenommen wurde, das der Produzent Jay Joyce (Emmylou Harris, Little Big Town, Eric Church) in einer umgebauten Kirche in Nashville eingerichtet hat. “Jay verfügt über Musikalität und nimmt Musik auf eine andere Weise wahr”, sagt Amos. “Er hört die Dinge definitiv anders als ich und schafft es so, den Songs eine zusätzliche Dimension zu geben. Er agierte auch als Stimme der Vernunft und führte uns manchmal, wenn wir uns zu sehr in Details verloren hatten, zum Essentiellen zurück.”
Joyces Einfluss zeigt sich zum Beispiel in dem Song “Plain View”. “Die Instrumentierung führte zu vielen Entdeckungen”, erläutert Lee. “Wir verwendeten ein Mandoloncello, eine Blockflöte und diese funky Boxbassdrum. In der Postproduktion verlieh Jones den Aufnahmen dann einen besonderen Touch. In solchen Momenten mache ich mir keine Gedanken darüber, wo das alles enden wird – ich weiß, dass wir die Kurve kriegen und die Aufnahme authentisch klingen wird.”
Dadurch dass Amos Lee die Aufnahmen von “Mountains Of Sorrow, Rivers Of Song” in Nashville machte, festigte er seine Verbindung zu einer Community, die ihn einst mit offenen Armen aufgenommen hat. Er arbeitete dort schon mit diversen Country-Künstlern von Sugarland bis hin zu Willie Nelson (der Lee als “einen exzeptionellen, in seiner Generation einzigartigen Künstler” bezeichnete) und vor allem mit der Zac Brown Band, die Amos Lee letztes Jahr auf ihrem Grammy-Album “Uncaged” featurete.
“Es ist ein guter Ort, um ein Album aufzunehmen”, sagt Amos. “Es gibt dort hervorragende Restaurants, die Menschen sind freundlich, es gibt weniger Ablenkung. Mir hat es dort immer gefallen. Deshalb dachte ich mir: Ich nehme einfach mal meine eigenen Jungs mit und schaue, wie sich eine Horde von Philly-Typen dort macht.”
Die Tatsache, dass die Aufnahmen in Nashville gemacht wurden, ermöglichte Lee auch, eine Reihe von bemerkenswerten Gästen zu den Sessions einzuladen. Alison Krauss stand ihm bei “Chill In The Air” zur Seite (“Wenn Mutter Erde eine Stimme hätte, würde sie wie Alison klingen”, sagt Amos) und Patty Griffin lieh ihre Stimme “Mountains Of Sorrow”. Darüber hinaus wirkten an den Aufnahmen auch noch der Dobro-Gitarrist Jerry Douglas (Ray Charles, Eric Clapton, Phish, Dolly Parton, Paul Simon, Mumford & Sons, Keb’ Mo’, Elvis Costello), Mundharmonikaspieler Mickey Raphael (Willie Nelson, U2, Neil Young, Elton John, Emmylou Harris) und Saxophonist Jeff Coffin von der Dave Matthews Band mit.
Auf “Mountains Of Sorrow, Rivers Of Song” betritt Amos Lee zwar musikalisches Neuland und probiert verschiedene Dinge aus, doch die Kohäsion des Albums hat darunter in keinster Weise gelitten. “Man kann diese zwölf Songs in einem Rutsch anhören”, meint Amos Lee zufrieden. “Diese Idee mag heute etwas antiquiert wirken, aber ich habe als Künstler und Hörer immer großen Wert darauf gelegt und kann einfach nicht davon lassen.”