Was für ein Jahr liegt hinter
Aida Garifullina! An der Wiener Staatsoper festigte sie ihren Ruf als eine der verheißungsvollsten Jungsopranistinnen der Gegenwart. Beim
Bastille Day Concert in Paris sang die junge Frau, die aus ihrem Lampenfieber keinen Hehl macht, für Millionen von Zuschauern. Schließlich ging sie noch mit Andrea Bocelli auf US-Tournee und war neben Meryl Streep und Hugh Grant in dem hochkarätigen Kinofilm
Florence Foster Jenkins auf Leinwand zu erleben.
Mehr geht nicht, und es kann kein Zweifel darüber bestehen, dass 2016 das Jahr der Aida Garifullina war. Sie bewies ihre außerordentliche Bühnenbegabung mit allen Fasern ihrer Künstlerpersönlichkeit. Dabei scheint ihr das Schauspieltalent in die Wiege gelegt, und ihr ungewöhnlich warm und satt anmutender Sopran verleiht ihr eine ureigene Ausdruckskraft. Was bislang noch fehlte, um die steile Karriere der jungen Sängerin vollständig zu machen, war ein Soloalbum.
Überwältigende Gefühlsmacht: Aida Garifullina
Ein solches Album liegt jetzt vor. Decca hat soeben das Solodebut der 1987 in Kasan, im Herzen der damaligen Sowjetrepublik Tatarstan geborenen Starsopranistin veröffentlicht. Und wie bei allem, was sie bislang angefasst hat, beweist Aida Garifullina auch hier ein glückliches Händchen. Es ist nicht allein ihr betörender Gesang, die überwältigende Gefühlsmacht ihres Ausdrucks, die das Album zu einem absoluten Hochgenuss macht. Eigenwillig und reizvoll ist auch die Zusammenstellung.
Aida Garifullina hat die Arien für das Album, das sie in Wien gemeinsam mit dem
ORF Radio-Symphonieorchester aufgenommen hat, selbst ausgesucht. Sie spiegeln ihren bisherigen Werdegang und waren wichtige Wegbegleiter ihrer künstlerischen Entwicklung. Das zeigt sich gleich zu Beginn des Albums mit
Gounods lebensfroher Arie “
Je veux vivre”. Mit ihr zog Aida das Publikum des Wiener und Dresdner Opernballs völlig in ihren Bann.
Breitgefächertes Repertoire: Klassische Arien, Volkslied und Ballade
Aida Garifullina singt die Arie hinreißend leicht und tänzerisch. In jedem Augenblick spürt man, dass sie weiß, wovon sie singt, dass sie selbst auch von unbändiger Lebenslust durchdrungen ist. Die darauffolgende “Glöckchenarie” von
Léo Delibes ist ein weiterer Meilenstein ihrer Karriere. Mit der ebenso tückischen wie mitreißenden Bravourarie glänzte sie in
Stephen Frears' Film
Florence Foster Jenkins.
Ein besonderes Verhältnis hat Aida Garifullina zu tiefsinniger, melancholischer Gesangskunst. So liebt sie die Melodie aus
Rachmaninows “
Vocalise”, die sie hingebungsvoll fließen lässt. Hier nimmt sie sich ein Beispiel an der großen Filmschauspielerin und Meistersopranistin
Anna Moffo. “Ich wollte bittersüße Traurigkeit, Qual und unerfüllte Hoffnungen genauso wunderbar ausdrücken wie sie”, so die junge Sängerin.
Bei dem russischen Repertoire spürt man, wie wohl sie sich darin fühlt. Hier ist sie zuhause. Hier kann sie sich ganz fallen lassen. Rimski-Korsakows Schneeflöckchen-Arie hat sie schon als Kind gesungen, und die Ballade von den Moskauer Nächten ist ihr seit jeher wohlvertraut. Entsprechend inniglich klingen ihre Interpretationen. Eine besondere Perle: “Allüki”, ein tatarisches Volkslied, in das sie sich ganz hineinbegibt. Atemberaubend!